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Trakls 2. Phase (1909-1912)

Trakls zweite Phase steht dann ganz im Zeichen des (Früh)Expressionismus. Als 1911, in der von Ludwig von Ficker gegründeten Zeitschrift "Der Brenner", Trakls Gedicht Vorstadt im Föhn veröffentlicht wurde, gab dies der Popularität für Trakl einen deutlichen Schub. Fortan wurden immer öfters einzelne Gedichte in der für "avantgardistische Literatur"4 bekannten Zeitschrift herausgegeben. Die Beziehung zwischen Ludwig von Ficker und Georg Trakl hatte altruistischen Charakter. Von Ficker unterstütze ihn mit Unsummen von Geld und förderte damit ungewollt seinen Drogenkonsum. Im Gegensatz zu den beiden Schriftstellern Erhard Buschbeck und Karl Röck, mit denen Trakl ebenfalls in freundschaftlicher Beziehung stand, verlangte von Ficker kein Geld von dem ohnehin stets illiquiden Trakl zurück. Röck notierte dazu in seinem Tagebuch: "Er braucht 200 K monatlich: 2 K pro Tag für Weintrinken und Rauchen. Wie viele Menschen l e b e n mit diesem Geld g a n z."5

Das Gedicht Vorstadt im Föhn weist neben dem für expressionistische Gedichte typischen Stadtthematik noch weitere charakteristische Merkmale auf. Ähnlich wie Rimbaud schafft es Trakl "(...) die Welt gleichsam in Stücke zu zerbrechen und im Gedicht neu zusammenzusetzen."6 . In diesem (von Trakl) angewandten Simultanstil, werden eine Vielzahl von Bildern aneinandergereiht, die keinen inhaltlichen oder logischen Bezug zueinander haben (z.B. V. 3-4 "Das Donnern eines Zugs vom Brückenbogen - Und Spatzen flattern über Busch und Zaun.). .
Darüber hinaus besteht ein Gegensatz von Form und Inhalt, der in seiner Umsetzung für den Expressionismus nicht ungewöhnlich war (Siehe auch: Georg Heym Der Krieg oder Die Stadt).
Vorstadt im Föhn ist formal in sechs Strophen á vier Verse aufgebaut und weist einen fünfhebigen Jambus auf. Durch diese strenge Form kommt es zu einem Ungleichgewicht mit dem Inhalt. Worte wie "Schmutz und Räude" (V.11) "feistes Blut" (V.13) oder "Schlachthaus" (V.14) stehen im Gegensatz zu dem pedantisch eingehaltenen Reimschema, der Versform und dem Versmaß. Charles Baudelaire befasste sich in seinem Gedichtband Les Fleurs du Mal mit jener Spannung, aus innerer (thematischer) Hässlichkeit und äußerer (formaler) Schönheit, die Trakl sich scheinbar von ihm absah und auf seine Gedichte ummünzte.

Forscht man tiefer in der baudelaireschen Lyrik-Theorie, findet sich eine ganz neue Definition der Schönheit. Durch die Moderne kommt ein neues - nicht zwingend positives - Lebensgefühl in den Menschen auf. Zur Zeit Baudelaires hatte die Entindividualisierung des Einzelnen, bedingt durch die späte europäische industrielle Revolution, sicherlich ihr Übriges zum negativen Gesellschaftsgefühl beigetragen. Pauperismus stellte sich als Folge für das rasante Städtewachstum und die menschliche Ausbeutung ein. In den Jahren des Expressionismus (1910-1925) hatte sich an dieser Situation grundlegend noch nichts geändert.
Es verwundert also keineswegs, dass Georg Trakl, ebenso wie Baudelaire, die Ästhetik im "(...) Armselige[n], Verfallene[n], Böse[n], Nächtliche[n] und Künstliche[n] (...)"7 suchte, hatten beide doch mit Auswüchsen der Industrialisierung zu kämpfen, wenn auch auf eine ganz unterschiedliche Art und Weise. Der gravierende Unterschied, der Trakl nicht nur von Baudelaire, sondern auch von allen anderen expressionistischen Lyrikern unterscheidet, ist die Tatsache, dass Trakl in keinem seiner Gedichte zu einem gesellschaftskritischen Rundumschlag kommt, "(...) sondern lyrisch im inneren Spiegel der gestörten, farblich entsetzlich entstellten, [inzestuösen], apokalyptisch veränderten Welt seiner kurzen Lebenstage [verbleibt]."8.